Definition Agile 

Taylorismus (das Wasserfall-Modell) ist das Erfolgsmodell des 20. Jahrhunderts. Es funktioniert gut im stabilen, komplizierten Umfeld. Es ist auf Effizienz ausgerichtet und besteht aus Vorausplanung, KPIs, Arbeitsteilung und sequenzieller Abarbeitung. 

Das agile Modell hingegen ist entstanden, um im dynamischen, komplexen Umfeld Erfolg zu haben. Es ist auf Effektivität ausgerichtet und basiert auf kontinuierlichem Planen und Lernen, Kundenfokus und einer teambasierten, gleichzeitigen Zusammenarbeit. 

Doch was heißt es genau, agil im Unternehmen zu sein und zu werden? Der Begriff „agil“ steht umgangssprachlich für Beweglichkeit, Flexibilität und Anpassbarkeit.
Flexibilität bedeutet dabei, dass ich mich wegen eines äußeren Drucks verändere. Hört der Druck auf, kehre ich zu meiner ursprünglichen Position und Form zurück. Ein Beispiel ist der Bambusbaum, der sich im Wind biegt und zurück federt, wenn der Wind aufhört.
Anpassbarkeit hingegen ist die Fähigkeit, sich nachhaltig zu verändern, wenn sich das Umfeld ändert. Das berühmteste Beispiel dafür ist sicher die Evolution. Ein anderes Beispiel ist die Musik-Industrie. Ich bin noch mit Kassetten aufgewachsen, dann kamen die CDs, jetzt wird nur noch gestreamt. Das Business Model der Musik-Industrie hat sich also häufiger nachhaltig geändert. Es gibt kein zurück.

Möchte ein Unternehmen wirklich agil werden, ist Anpassbarkeit gemeint, nicht Flexibilität. Anpassbarkeit im Unternehmen braucht zusätzlich zur umgangssprachlichen Definition jedoch noch eine zusätzliche Komponente, die der engen Zusammenarbeit. Ohne Zusammenarbeit kann ich mich anpassen wie ich will, durch die Abhängigkeit zu anderen Mitarbeitern wird mir das nicht viel bringen. Arbeite ich aber zusammen, selbst-organisiert und an einer gemeinsamen Sache, kann ich viel schneller reagieren, als im Taylorismus. 

Die Zusammenarbeit ist so wichtig, dass man sagen könnte: „Die kleinste Einheit eines Unternehmens ist das Team“. Damit soll nicht geleugnet werden, dass ein Team aus verschiedenen Personen besteht, die (meist) alle wichtig sind. Eine Funktion von Coaches im agilen Umfeld ist es ja auch gerade, dafür zu sorgen, dass sich die einzelnen Teammitglieder vertrauen und gut miteinander klarkommen. Ein Unternehmen ist aber ein Zusammenschluss von Menschen, um Produkte oder Services zu entwickeln und anzubieten, die nur durch die Zusammenarbeit möglich werden.

Arbeiten Menschen wirklich zusammen, entsteht Emergenz. Das heißt, dass sich durch die Zusammenarbeit plötzlich andere Eigenschaften und Strukturen herausbilden, als bei der Arbeit des Einzelnen. Diese neuen Eigenschaften und Strukturen stehen im Fokus von Agilität im Unternehmen und damit steht auch das Team im Fokus. Agil im Unternehmen zu sein heißt also: „Teamzentrierte Beweglichkeit und Anpassbarkeit.“ So wie die Musik vom Orchester und nicht vom Instrument kommt, kommt die Agilität im Unternehmen von den Teams und nicht von dem einzelnen Mitarbeiter. 

Die Geschichte von „Agile“ 

2001 trafen sich 17 Softwareentwickler übers Wochenende in Uta. Allen gemeinsam war, dass sie sich lange Zeit damit beschäftigt hatten, warum Software-Produkte so oft scheiterten. Als Konsequenz hatte sich jeder von ihnen Methoden ausgedacht, um mit der steigenden Komplexität in der Software-Entwicklung umgehen zu können, zum Beispiel Scrum und Extreme Programming. Bei ihrem Treffen ging es nun um die Beantwortung der Frage, worin sich die verschiedene Ansätze ähnelten. Das Ergebnis wurde dann Montag morgen veröffentlicht und ist als „Agiles Manifest“ bekannt. Es besteht aus 4 Wertepaaren und 12 Prinzipien und ist die Grundlage für alle agile Methoden, Werkzeuge und Vorgehensmodelle. Seit dem reden wir im Unternehmenskontext von Agilität.

Ich führe ganze Workshops durch, nur über das "Agile Manifest". Wir können es hier aber gut zusammenfassen als „4K“:
- Kollaboration
- Kontinuierliches Planen
- Kundenfokus
- Kontinuierliches Lernen

Kollaboration

Über Kollaboration haben wir schon gesprochen. Enge Zusammenarbeit geschieht in Teams. Ein agiles Team, im Gegensatz zu einer Abteilung oder einer Gruppe, hat ein gemeinsames Ziel und ist für die Erreichung des Ziels gemeinsam verantwortlich. Im idealen Fall braucht es dafür keine Hilfe von außen, sondern das Ziel kann aus eigener Kraft erreicht werden, ohne Warte- und Abstimmungszeiten. Das führt zu Schnelligkeit, oft um den Faktor 3 und mehr.
Durch die Übernahme der Verantwortung kommen selbst-organisierte Teams schneller zu Entscheidungen, weil kein Vorgesetzter gefragt oder um Erlaubnis gebeten werden muss. Um gute Entscheidungen treffen zu können und unabhängig zu sein, müssen im Team neben aller relevanten Informationen v.a. alle relevanten Fähigkeiten und Expertisen vorhanden sein. Wir sprechen dann von einem cross-funktionalen oder Feature-Teams. So können Themen und Probleme aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden und gleichzeitig an Aufgaben gearbeitet werden.
Die Anzahl der Teammitglieder sollte die Größe von 7 (+- 2) nicht überschreiten. Diese Größe ergibt sich einerseits aus der Anzahl notwendiger Experten und Fähigkeiten im Team einerseits und andererseits aus der notwendigen Zeit für Abstimmungen, die bei mehr als 9 Team-Mitgliedern zu zeitaufwendig werden.
Ist ein gemeinsame Ziel so groß, dass es mit 9 Personen nicht erreicht werden kann, zum Beispiel der Bau eines Autos, braucht es mehrere Teams, mit jeweils eigenen Teilzielen, die ein gemeinsames größeres Ziel verfolgen. Diese Teams sind wiederum ein Team. Es handelt sich dann um ein „Team Of Teams“. Ein Team Of Teams sorgt dafür, dass Entscheidungen nicht nur gut für ein Team sind, sondern auch für das große Ganze.

Kontinuierliches Planen

Das kontinuierliche Planen geht davon aus, dass immer wieder etwas dazwischen kommt, was die ursprüngliche Planung obsolet macht. Das können zum Beispiel neue oder geänderte Wünsche meiner Kunden sein, Gesetzesänderungen oder Bugs (Fehler in der Software). Bemerke ich die Veränderung zu spät, kommt auch meine Anpassung zu spät. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Alle agilen Frameworks haben daher ein iteratives Vorgehen, das heißt, die Arbeit in den Teams verläuft zyklisch, in Tagen oder Wochen (zum Beispiel in 2-Wochen-Sprints). In Scum zum Beispiel wird am Anfang des Sprints geplant, aber auch täglich. Sogar am Ende wird geplant: Das Feedback des Kunden wird in den Anforderungskatalog aufgenommen (das Product Backlog) und Verbesserungen bei der Zusammenarbeit werden in der Retrospektive eingeplant.
Auch ein Team Of Teams arbeitet zyklisch und synchronisiert sich immer wieder, einer Kadenz folgend. Das heißt, dass die Arbeit in allen Teams gleichzeitig zu bestimmten regelmäßigen Zeitpunkten fertig wird und dadurch ein Austausch möglich wird.

Kundenfokus

Der Kundenfokus in den agilen Ansätzen ersetzt die Wichtigkeit des Umsatzes (Revenue). Die Annahme dahinter ist, dass ein Unternehmen langfristig nur erfolgreich sein kann, wenn die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden stetig erfüllt werden. Durch das Internet haben die Kunden eine Stimme bekommen. Bewerten sie das Produkt oder den Service schlecht, brechen Neuaufträge ein. Außerdem ist durch Globalisierung und Digitalisierung die Auswahl für die Kunden viel größer geworden, als früher. Meist reicht ein Klick aus, um zum Produkt oder Service der Konkurrenz zu wechseln. Nachhaltiger Umsatz kann also nur erreicht werden, wenn die Kundenzufriedenheit (Customer Satisfaction) gut ist oder sogar immer besser wird.
Spannend ist häufig die Frage, werde eigentlich der Kunde ist, denn es gibt verschiedene Arten von Kunden und oft ist für einzelne Teams die Definition „ihres Kunden“ gar nicht so leicht:
- Endkunden sind die Verbraucher, die ein neues Handy kaufen oder eine Reise buchen möchten
- Geschäftskunden sind zum Beispiel Autohersteller, in deren Auftrag ich als Zulieferer Scheibenwischer liefere
- Stakeholder können Kunden sein, vor allem in StartUps, die dies zufrieden stellen müssen, um weitere Gelder zu bekommen
- Internen Kunden sind am schwierigsten zu definieren.
Die Abteilung Vertrieb ist zum Beispiel oft ein interner Kunde, der Vorgesetzte oder die Marketingabteilung hingegen nicht! Denn der Kundennutzen bezieht immer auf einen Wert, den ich mittelbar oder unmittelbar erreichen kann. Konkret heißt das, das Lösen eines Problems, die Erleichterung einer Tätigkeit oder das Ermöglichen von etwas bisher nicht möglichen. Das ist bei Vorgesetzten zum Beispiel nicht der Fall. Um herauszufinden, wer im speziellen Kontext der Kunde ist, werden die wertschaffenden Strukturen modelliert, zum Beispiel mit einem Kanban Board. Die wertschaffenden Strukturen sind orthogonal zu hierarchischen Strukturen, die beiden Strukturen sind also unabhängig voneinander.
Für die Definition des Kunden heißt das, das Abteilung A nicht Kunde von Abteilung B sein kann. Abteilungen sind hierarchisch nach Aufgaben strukturiert, nicht nach Kundennutzen bzw. Wertschaffung. Im Umkehrschluss heißt das, dass alle kross-funktionalen Teams Kunden haben sollten, die unabhängig von der Hierarchie sind. Daher kommt die Forderung, dass Teams verantwortlich sind für ihre Arbeit. Der hierarchisch Vorgesetzte kann die Verantwortung gar nicht übernehmen. In Scrum gibt es Product Owner, die die Verantwortung für ein Produkt oder Service haben. Diese sind daher nie hierarchisch Vorgesetzte!
Kundenfokus bedeutet weiterhin, dass der Kunde regelmäßig in die Zusammenarbeit eingebunden wird. Das ist wichtig, um zu verstehen, was er will, ob sich vielleicht seine Wünsche geändert haben und ob ihn die (Weiter-) Entwicklung des Produktes oder Services nutzen bringt. Das ist der Kern von Effektivität und damit im Widerspruch zu der Annahme, Agilität sollte eingesetzt werden, um effizienter zu werden.

Kontinuierliches Lernen 

Agilität heißt anpassen. Anpassen kann ich mich an die Kundenwünsche, aber auch auf Veränderungen des übrigen Umfelds, auf veränderte Strukturen (zum Beispiel wenn ein Teammitglied geht oder ein anderes kommt) und auf Ziele (zum Beispiel ein neues Geschäftsmodell oder eine Erweiterung meines Portfolios). Zusätzlich sollte das Team (und natürlich das ganze Unternehmen) ein Interesse daran haben, auch intern immer besser zu werden, in Form von optimierten Prozessen, der Zusammenarbeit und der Interaktion mit anderen Teams. Dafür braucht es eine regelmäßige Reflexion und ein inkrementielles Vorgehen. Inkrementiell heißt aufeinander aufbauend. Entsprechende Meetings sind für mich übrigens der Anfang jeder Veränderung hin zu Agilität im Unternehmen, denn hier werden Probleme sichtbar und können Maßnahmen abgeleitet werden, um die Prinzipien des agilen Manifests nach und nach umzusetzen. Es ist übrigens spannend, wenn ein Team meint, "wir brauchen nur noch kurze Retrospektiven, wie arbeiten schon super zusammen". Ein untrügliches Zeichen, dass dieses Team betriebsblind geworden ist und eine Menge Potenzial für weitere Verbesserungen hat!