Meine erste Handlung in Unternehmen ist eine Analyse. Dafür interviewe ich wichtige Personen im Unternehmen und nehme an Besprechungen teil. Ich möchte ein Gefühl für die Kultur bekommen: wie gehen die Mitarbeiter miteinander um, wie und worüber wird gesprochen, was sind aus der Sicht der einzelnen Personen die Probleme. 

Natürlich sind die Ergebnisse von Unternehmen zu Unternehmen verschieden, doch eine Sache ist immer gleich: Es gibt Probleme in der Kommunikation. Dabei ist es unerheblich, wie die Kultur im Unternehmen ist und ob es eher klassisch (tayloristisch) oder agil aufgestellt ist. Die Probleme gehen meist schon los, bevor ich das erste Interview führe. Selten sind meine Interviewpartner wirklich umfassen und klar informiert, warum ich da bin, was das Ziel ist und wie der Ablauf. Dabei haben wir uns vorher darauf verständigt, dies in Besprechungen anzukündigen und ich habe vorher an alle Beteiligten eine Mail formuliert. 

Ich habe festgestellt, dass das Problem nicht nur bei den Initiatoren zu suchen ist, sondern auch bei den Empfängern. Ich glaube seitdem nicht mehr daran, dass für eine missverstandene Nachricht immer der Sender verantwortlich ist. Besonders heutzutage, wo wir alle durch Fernsehen, das Internet, Youtube, Podcasts und soziale Netzwerke in einem Informationsrauschen versinken, ist das auch ein Problem der eigenen Aufmerksamkeitslenkung und Aufmerksamkeitsspanne. Es prasseln so viele Informationen auf uns ein, dass wir sie nur noch überfliegen und kaum noch wichtige von unwichtigen Informationen unterscheiden können. 

Diese Erkenntnis ist entscheidend, weil Agilität, Selbst-Organisation und Lernen davon abhängen, dass die richtigen Informationen zur richtigen Zeit zur Verfügung stehen. Zusätzlich muss zwischen Fakten, Meinungen und Fake News unterschieden werden. Warum ist das so und wie können wir das erreichen? 


Wo wir herkommen: Macht und Kontrolle 

Die meisten Unternehmen aus dem 20ten Jahrhundert sind nach dem Taylorismus aufgebaut. Dort besagt eine Regel, dass nur die Informationen weitergegeben werden sollen, die für die Ausführung einer Aufgabe unbedingt erforderlich sind. Die Führungskraft (in diesem Fall der Manager) soll denken und lenken und hat damit auch die Rolle des Experten inne. Die Angestellten im Maschinenraum sollen ausführen und nicht infrage stellen. Kontrolle ist klar geregelt und ein Erfolgsmodell – jedenfalls in Zeiten, in denen sich das Umfeld nur langsam ändert und es bei den Ergebnissen um Masse geht, statt um Klasse. 

Informationen nur weiterzugeben, wenn notwendig, hat neben der Kontrolle noch einen anderen, wichtigen Vorteil: Die Macht über die Information führt zur Statuserhöhung des Informierten. Ein hoher Status wiederum führt zu hohem Ansehen. Mir scheint, hohes Ansehen als erstrebenswert zu halten ist ein menschlicher Wesenszug, der unabhängig ist von Unternehmensmodellen und Gesellschaftsentwicklungen. Auch heute, wo es um Gleichberechtigung, Demokratisierung und Konsens geht, bleibt der Status wichtig. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Likes, Influencer und Celebrities allgegenwärtig sind. 

Den eigenen Status durch Macht über die Information zu erreichen, führt in dynamischen, komplexen Umfeldern zu Problemen. Um hier zu bestehen, braucht es mehr Selbst-Organisation, kontinuierliches Lernen und unternehmerisches Denken – die Eckpfeiler der Wissensgesellschaft. Dies ist nur durch Informationsverfügbarkeit zu erreichen. 


Voraussetzung für Agilität: Geteiltes Wissen 

Gemeinhin ist mit Transparenz genau diese Verfügbarkeit von Informationen gemeint. Mich wundert das immer ein wenig, denn wenn ich das Wasser in einem See sehen möchte, ist Transparenz eher hinderlich. Wissenstransparenz bedeutet so gesehen eigentlich, dass das Wissen gar nicht sichtbar, aber vorhanden ist. Aber natürlich ist gemeint, dass ich bei klarem Wasser den Boden des Sees sehen kann, das Wissen also der Boden ist. Ich erwähne das nur, weil die Metapher auf etwas Wichtiges hinweist: Wissen ist besser wahrnehmbar, wenn es möglichst statisch ist. Statisch bedeutet, sich auf Wissen zu fokussieren, das eine gewisse Verweildauer hat. Nur dann lohnt es sich, es verfügbar zu machen und zu teilen. Wenn ich hingegen dynamisches Wissen vorhalte, benötigt es länger es aktuell zu halten, als es von nutzen ist. Es wird dann zum Rauschen, wie die unendlichen, viel zu vielen Informationen bei Instagram, Facebook und LinkedIn. 

Das Zuviel an Information führt zu einigen spannenden Schlussfolgerungen. Jedes Spezialgebiet braucht mittlerweile so viel Wissen, dass es nicht mehr einen Experten geben kann, der das Wissen in sich vereint. Das bedeutet nicht nur, dass die kleinste Einheit eines Unternehmens das Team sein muss (weil ein einzelner allein keinen Wert mehr erschaffen kann), es bedeutet auch, dass ein Manager nicht mehr der Experte sein kann, der alles steuert und die Fäden in der Hand hält. Das Gleiche gilt für alle Bereiche im Unternehmen. Es gibt zu viele Aspekte, um als einzelner den Überblick zu behalten, zu viele mündige Kunden mit zu vielen unterschiedlichen Anforderungen, um auf Masse zu setzen. 

Voraussetzung für Agilität: Vertrauen 

Um dem zu begegnen, gibt es nur eine Lösung: Informationen müssen offen und ehrlich geteilt werden. Nur so kann ein Unternehmen im dynamischen, komplexen Umfeld relevant zu bleiben. Ich kenne Manager, die davor bis heute Angst haben. Nicht nur wegen des Statusverlustes, sondern auch aus mangelndem Vertrauen in die Mitarbeiter. Dabei wird gerne übersehen, das Vertrauen nicht nur geschenkt wird, sondern auch verdient werden muss. Es geht also nicht darum, den Mitarbeiter ab morgen alle Informationen zur Verfügung zu stellen. Dann landen wir wieder im Informationsrauschen. Es geht darum, durch loslassen (schenken) und bemühen (verdienen), gemeinsam Schritt für Schritt das gegenseitige Vertrauen aufzubauen. Das bedeutet zuallererst, sich klarzumachen, in welchen Bereichen Transparenz wichtig ist und welche Arten von Informationen es gibt.

Push, Pull und Dialog 

Um an Informationen zu gelangen, gibt es drei Möglichkeiten. Ich kann Informationen geben, ich kann sie mir holen oder sie entstehen aus einem Dialog, also aus einem Gespräch heraus. Alle drei Möglichkeiten können synchron erfolgen, aber auch asynchron. Es ist wichtig, zu unterscheiden, wann was am Sinnvollsten ist. Das ist wiederum in den verschiedenen Informationsaspekten verschieden. 


Informationsaspekt Motivation

In der Literatur zur Agilität wird gerne vom Purpose gesprochen. Ein Wort, was nicht leicht zu übersetzen ist und daher recht unscharf verwendet wird. Nach meiner Meinung ist damit gemeint, dass jedem klar ist, wo das Unternehmen herkommt (warum das Unternehmen existiert), wie es ist und wie es sich von anderen Unternehmen unterscheidet. Zusätzlich geht es darum, zu verstehen, wo das Unternehmen hinstrebt. Was ist die Vision der Führung, was bedeutet das für die Teams und den Einzelnen und warum ist es überhaupt wichtig, die gesteckten Ziele zu erreichen. Fast jeder Mitarbeiter hat seinen Beruf anfänglich gelernt, weil er sich dafür interessiert und seine Tätigkeiten gerne gemacht hat. Ist ihm klar, warum er und seine Tätigkeit für das Unternehmen wichtig sind, kann er Sinnerfüllung in dem finden seinen Status erhöhen. Es ist daher wichtig, dass die Informationen immer wieder über das warum und wozu glasklar und unmissverständlich kommuniziert werden und proaktiv (push) schriftlich, mündlich und non-verbal, also durch Vorleben, weitergeben werden. Bleibt dies aus, kommt es zu Vertrauensverlust. Niemand glaubt dann mehr an das warum und wozu. Gelingt die glasklare Kommunikation hingegen, geht vorwärts, weil alle in die gleiche Richtung streben. 

Informationsaspekt Handlungen 

Es ist eine alte Weisheit, dass die Spezialisten am besten wissen, wie etwas umzusetzen ist. Umso erstaunlicher finde ich es, wenn Führungskräfte, vor allem Teamleiter und Abteilungsleiter, immer wieder ins Tagesgeschäft reingrätschen und den Spezialisten sagen, wie ihre Arbeit zu tun ist. Das ist zwar verständlich, denn meistens werden Spezialisten befördert zu Führungskräften (was man kritisieren sollte), aber sie verlieren mit der Beförderung langsam das Spezialistentum, weil Wissen und Praxis sich heute so schnell verändern. Darüber hinaus kann es generell auch nicht die Aufgabe einer Führungskraft sein, sich weiterhin um die frühere Spezialisierung zu kümmern. Die Aufgabe einer Führungskraft ist das Führen, nicht das Ausführen. Neben der Informationen zum Beruf, inklusive deren Veränderungen und Entwicklungen, sind für das Handeln noch andere Informationen wichtig. Beispiele dafür: Wie werden die Dinge hier getan (Prozesse), wo gibt es Probleme und wie können sie gelöst werden, wieviel Freiraum gibt es für Experimente, Kreativität und Entscheidungen. Dass es diese Informationen gibt, muss klar sein (push) und wo diese Informationen sind muss ebenfalls klar sein (pull). So müssen nicht alle Informationen dauernd kommuniziert werden, aber wenn sie gebraucht werden, müssen sie schnell verfügbar sein. Hier sind die Führungskräfte in der Pflicht, die Informationen zur Verfügung zu stellen, zum Bespiel im Intranet oder an einem Board. Die Mitarbeiter sind verantwortlich, zu entscheiden, welche Informationen sie benötigen und müssen sich diese dann selbstständig holen (pull).

Informationsaspekt Ergebnisse 

Ergebnisse der Arbeit sind Produkte, Services oder Plattformen. Es kann sich zum Beispiel um ein Konzept handeln, eine Software oder einen Bericht. Um zu prüfen, ob das Ergebnis den Wünschen und Anforderungen entspricht, ist es wichtig, sie immer wieder zu überprüfen. Das geschieht im Austausch mit dem Kunden (oder dessen Vertreter) per push von den Entwicklern. Oft ist es dabei schwierig zu entscheiden, wer eigentlich die Kunden sind, denn sie unterscheiden sich meist deutlich von den Auftraggebern. Das ist die Schwierigkeit und der Grund, warum dieser Aspekt der Information meist nicht gut genug ausgeprägt ist. Nur wenn er es ist, kann kontinuierlich gelernt und das geliefert werden, was den größtmöglichen Wert schafft. 

Informationsaspekt Umfeld 

Das Umfeld, also etwa die Kunden und andere Marktteilnehmer, aber auch sich verändernde Compliance-Regeln, verändern sich dynamisch und unvorhersehbar. Es ist daher notwendig, darauf ständig einen Blick zu haben und Informationen zu sammeln (pull). Meist wird dies von mehreren Abteilungen umkoordiniert durchgeführt (zum Beispiel vom Marketing, der HR und dem Vertrieb). Die gesammelten Daten sind dadurch nicht an der richtigen Stelle konsolidiert vorhanden. Die Entwickler kennen geänderte Wünsche ihrer Kunden nicht, sondern bekommen nur andere Anforderungen für das Produkt präsentiert. Die HR versteht nicht, wie sich der geänderte Markt auf das Image des Unternehmens auswirkt. Der Vertrieb läuft den Entwicklungen hinterher, anstatt sie zu treiben. Wissensmanagement-Systeme und ein spezifiziertes Team sind notwendig, um aus den vielen Daten aus verschiedenen Quellen Wissen zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Nur so kann der Kurs richtig bestimmt und die richtigen Dinge gemacht werden. 

Informationsaspekt Strukturen 

Wir haben es in Unternehmen immer mit mindestens drei Strukturen zu tun, den formalen Strukturen, den informalen Strukturen und den wertschaffende Strukturen (meine Spezialität ist die Schaffung von Veränderungsstrukturen). Wenn ich mit meinen Auftraggebern darüber spreche, sind oft nur die formalen Strukturen klar. Selbst diese werden oft nicht klar und einheitlich kommuniziert (push): welche Rollen verantworten genau was und wozu, wie wirkt sich Dynamik und Komplexität auf das tägliche tun (daily doing) aus und welche Änderungen sind zu erwarten. Sind diese Erkenntnisse nicht klar, verliert die Belegschaft das Vertrauen in die Führungskräfte und der Flurfunk gewinnt an Eigendynamik. Es ist also unglaublich wichtig, alle Informationen über die Zusammenarbeit und das Unternehmen jedem persönlich zur Verfügung zu stellen und das Gespräch zu suchen. Nur so können Mitarbeiter selbstständig im Sinne des Unternehmens denken und handeln und Verantwortung übernehmen. Um nicht im Informationsrauschen und endlosen Besprechungen unterzugehen, ist es dabei wichtig, die nützlichen von den unnützen Informationen zu unterscheiden. Ich nenne das „high quality information“. Es ist eine Balance, dabei nicht wieder beim „Information hiding“ zu landen und in alte Muster zurückzufallen. Das erfordert Übung. Ein Moderator (etwa ein Scrum Master) ist dafür sehr nützlich, denn er kann helfen, aus den vielen Informationen das nützliche Wissen zu identifizieren. 

Informationsaspekt Entscheidungen 

Der wichtigste Aspekt, und oft unterschätzt, ist die Entscheidung. Menschen wollen wissen, warum bestimmte Optionen gewählt werden und andere nicht. Sie wollen das Gefühl haben, dass der Entscheidende weiß, was er tut. Dabei geht es nicht darum, sich zu rechtfertigen, sondern darum, ein gemeinsames Verständnis aufzubauen und zu behalten. Entscheidungen werden von zwei Faktoren beeinflusst, von der Motivation und den Strukturen. Die Motivation, also die Richtung für das Handeln, muss dem Entscheidenden von der strategischen Führung zur Verfügung gestellt werden (push). Das Wissen aus dem Strukturaspekt muss er sich bei Bedarf holen(pull). Entscheidungsfindung heißt also Dialog – in Teams, zwischen Teams und natürlich auch zwischen Teams und Führung. 

Informationsaspekt Weltsicht 

Es ist für mich immer wieder erschreckend, dass in manchen Unternehmen kein Wert darauf gelegt wird, den Menschen hinter den Positionen und Rollen sehen zu wollen. Dabei ist das so wichtig, um Kreativität zu fördern, Erkenntnisse zu gewinnen und sich gegenseitig bei der Entwicklung, dem Lernen und dem gemeinsamen Weg zu unterstützen. Meist beginnt das Problem mit der Erwartung, dass der andere so denkt, wie man selbst. Dabei hat jeder von uns durch seine Geschichte und seine Erfahrungen eine eigene Perspektive auf die Dinge. Jeder sieht verschiedene Dinge glasklar und blendet anderes aus. In der Fachliteratur wird dafür der Begriff der mentalen Modelle verwendet. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass wir alle Bilder und Metaphern im Kopf haben, mit denen wir uns die Welt erklären. Man erkennt das daran, wie Menschen reden. Es ist zum Beispiel davon die rede „im Maschinenraum“ oder „an Deck“ zu sein, ein „Rädchen im Getriebe“ zu sein oder „zu funktionieren“ kann man auf das mentale Modell der Maschine schlussfolgern. Spricht jemand eher von „Zusammenhalt“, einer „gemeinsamen Anstrengung“ oder „auf Augenhöhe“ handelt sich wahrscheinlich eher um das mentale Modell des Netzwerks oder der Gruppe. Oft erlebe ich es, dass ein Unternehmen als Maschine aufgebaut ist, aber das Management versucht, die Mitarbeiter mit dem mentalen Modell der Gruppe anzusprechen. Unverständnis und Ärger sind so vorprogrammiert. Vielmehr ist es wichtig, zuzuhören, die mentalen Modelle und Ziele der Mitarbeiter mit denen des Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Das gelingt nur, wenn jeder die Verantwortung übernimmt und seine Meinung äußert, es geht also um den Dialog: push und pull.