Die Transformation findet nicht auf der grünen Wiese statt, sondern im laufenden Betrieb. Angefangene Arbeit kann somit nicht einfach liegen gelassen werden und auch eine Übergabe geht nicht von heute auf morgen. Oft endet das damit, dass die Mitarbeiter gleichzeitig in ihre neue Rolle schlüpfen, ihre alte Rolle aber nicht loslassen können. Überbelastung, Widerstände und Qualitätsverlust der Arbeit sind die Folge. Ein komplexes Problem. Das ist ein Problem, für das es keine klare Lösung gibt. Es gibt jedoch einige Ansatzpunkte.

Umgang mit Entscheidungen

Eine Änderung der Rolle hat meist zur Folge, dass der Vorgesetzte ein anderer wird. Interessenkonflikte können eine Folge sein. Vor dem Wechsel ist es wichtig, dass jeder seine neue Rolle und Verantwortung versteht.

Noch besser ist es, wenn die Verantwortung generell zum Mitarbeiter mit der neuen Rolle übergeht. So wird nicht nur ein Interessenkonflikt vermieden, sondern generell die Arbeit effizienter und effektiver.

Prozessmodellierung

Im Scrum-Guide wird davon gesprochen, Cross-Funktionale Teams zu bilden, die alle Fähigkeiten in sich vereinen, sodass sie autonom ihre Ziele erreichen können. So kann Komplexität reduziert und die Organisation modular aufgebaut werden. Die Praxis sieht meist anders aus. Wegen der Größe des Produktes und der Organisation gibt es Unmengen an Abhängigkeiten, intern und extern. Werden diese vor der Transformation nicht aufgedeckt und gemanagt, sind Probleme vorprogrammiert. Es bietet sich daher an, den Ist-Stand und den Soll-Zustand mit Kanban-Boards oder den Agilissence Karten und Transformation Board zu modellieren. Durch die Modellierung und Visualisierung fallen die Schwierigkeiten frühzeitig auf.

Zusätzlich hilft es, wenn die Arbeit in Iterationen (Sprints) organisiert ist, sodass ein bestimmtes Aufgabenkontingent zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen wird. Die Veränderung der Rolle kann so direkt nach dem Sprint terminiert werden, um möglichst wenig offene Aufgaben zurückzulassen.

Kunden und Produkte identifizieren

Es ist immer wieder überraschend für mich, wieviele Mitarbeiter (oder ganze Unternehmen) ihre Kunden nicht kennen. Bei einer Transformation hin zu einer agilen Organisation steht dies aber im Mittelpunkt und sämtliche Methoden und Pattern sind darauf ausgerichtet. Die Veränderung wird schwerfallen, wenn einerseits nicht klar ist, dass dem Kunden die Änderungen kommuniziert werden sollte und der Kunde andererseits nicht weiß, was auf ihn zukommt. Auch der Teamschnitt wird schwierig, wenn nicht klar ist, wie eine ideale Wertschöpfungskette mit Wert = Kundenzufriedenheit aussehen muss. Vor der Transformation ist daher genau zu definieren, wer die Kunden sind. Es ist außerdem eine gute Idee, diese durch Kommunikation einzubeziehen. 

Aufbau von Fertigkeiten 

Am Anfang einer Transformation stehen in der Regel Workshops für das ganze Unternehmen, respektive dem Teil, der transformiert werden soll. Das Ziel dabei ist es, ein gemeinsames Verständnis darüber zu erzeugen, warum die Veränderung notwendig ist und mit welchem konkreten Ziel. Außerdem muss eine gemeinsame Begriffsbasis geschaffen werden, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Aber selbst wenn Workshops mit Spielen und praktischen Übungen angereichert werden, bleiben sie dennoch theoretisch. In der täglichen Praxis ist es viel schwieriger, das Gelernte anzuwenden und nicht in alte Muster zurückzufallen. Wenn es Veränderungen bei den Rollen und Positionen gibt, kommen zusätzlich noch fachliche Anforderungen hinzu, sodass die Lernkurve extrem steil ausfällt. 

Es ist daher sinnvoll, Verständnis und Fertigkeiten vor der Transformation aufzubauen. Bei der Veränderung sollte den Mitarbeitern und Coaches außerdem genug Zeit zur Verfügung stehen, um sich anzupassen. Nur so festigen sich neue Gewohnheiten und damit auch eine notwendige neue Denkweise.

Prioritäten setzen

Nicht oft genug kann betont werden, dass Prioritäten setzen heißt: Was lasse ich weg! Die Psychologie hat herausgefunden, dass wir Problemen begegnen, in dem wir eine Lösung entwickeln. Meistens bedeutet dies, etwas hinzuzufügen. Soll Komplexität und die Doppelbelastung der Mitarbeiter reduziert werden, ist es aber oft sinnvoller, mit etwas aufzuhören. Das kann das bedeuten, mit dem Streben nach Perfektion aufzuhören, das reduzieren von Besprechungen oder das Aufgeben von Kontrolle. Viele Bedenken sind dabei unbegründet. Komplexe Systeme neigen dazu, sich selbst zu regulieren, wenn sie in Ruhe gelassen werden. Das setzt natürlich Vertrauen voraus, das vor der Veränderung verdient und dann auch gegeben werden muss, aber es erfordert auch Vertrauen.

Systemgrenzen definieren

Es ist nie sinnvoll, zu viel gleichzeitig zu wollen. Auch eine Transformation sollte daher Schritt für Schritt stattfinden. Damit das gelingen kann, müssen die Art der Systeme und die Systemgrenzen klar definiert sein. Es gibt zum Beispiel wertschaffende Teams, Enabling Teams, Plattform Teams und Subsystem-Teams. Die Unterscheidung zu treffen und die Systemgrenzen zu ziehen fällt niemals leicht und hat einen subjektiven Anteil. Sich damit vor der Transformation zu beschäftigen und Abhängigkeiten und Schnittstellen zu definieren, erleichtert eine Umstrukturierung enorm. Dabei muss die Definition nicht perfekt sein, denn auch nach einer Veränderung kann jederzeit nachgeschärft werden. Es geht vor allem darum, zu bestimmen, wo mit der Transformation angefangen wird und wer vorerst nicht betroffen ist. So gerät nicht das ganze Unternehmen in Aufruhr und es ist leichter zu verstehen, was einzelne Maßnahmen bewirken. 

Sind die Systeme definiert, stellt sich die Frage, wo eine Veränderung leicht möglich ist, wo schwierig und wo zurzeit nicht möglich. 

Strukturen

Trotz aller vorbereitenden Maßnahmen und selbst mit einer perfekten Kommunikationsstrategie wird es zu einer Mehrbelastung der Mitarbeiter kommen. Das ist natürlich, denn in dem Moment, wo außerhalb der Komfortzone agiert wird, fällt jede Arbeit schwerer und benötigt länger. Den perfekten Übergang gibt es nicht. Entscheidend ist, dass eine Änderung immer auch eine Lücke hinterläßt, die gefüllt werden muss. Soll das nicht der Mitarbeiter in seiner alten Rolle tun, braucht es Alternativen: 

Overstaffing: Temporär extern besetzen

Eine kostenintensive Möglichkeit ist es, die Arbeit in der alten Struktur durch Freelancer beenden zu lassen. Das funktioniert allerdings nur gut bei standarisierten, austauschbaren Tätigkeiten. Die Einarbeitung in das Thema steht sonst in keinem Verhältnis zur Entlastung und kann sogar ins Gegenteil umschlagen.

Catcher: Springer, die temporär helfen

Eine Spielart des Overstaffing ist ein internes „Springer“-Team. Besetzt mit erfahrenen, gut vernetzten und langjährigen Mitarbeitern kann das effektiv dabei helfen, die Veränderung zum Gelingen zu bringen. Oft geht daraus später ein „Enabling-Team“ hervor, welches dem Unternehmen hilft, resilient zu werden. Die Kosten bei dieser Möglichkeit sind aber wie beim externen Overstaffing nicht zu unterschätzen.

Break: In einem Rutsch gerade ziehen

Riskanter und für kleinere Organisationen praktikabler als für größere Abteilungen oder Organisationen ist die Möglichkeit, den "Schalter umzulegen". Das Risiko besteht darin, dass unvorhergesehene Schwierigkeiten auftauchen, wodurch das gesamte System zerbrechen kann. Funktioniert der Ansatz aber, ist es der einfachste und schnellste Weg. 

Bubbles (Blasen)

Die neuen Strukturen und Prozesse in einem kleinen, geschützten Team auszuprobieren und dadurch zu lernen, ist der am weitesten verbreitete Weg. Der Lerneffekt kann aber begrenzt sein, weil die Bubble kontextabhängig ist. Wie mit Abhängigkeiten in anderen Kontexten umzugehen ist, bleibt weiterhin unklar und führt später zu Unwägbarkeiten. Oft platzt die Bubble dann auch und alles bleibt beim Alten.

Kaskade

In übersichtlichen Umfeldern kann es erfolgsvorsprechend sein, mit einem Wertstrom anzufangen und einfach schnell mit weiterer Transformation zu reagieren, wenn Probleme auftreten (zum Beispiel Impediments oder Slow Downer). Die Veränderung zieht sich dann durch das Unternehmen und verästelt sich. Der Vorteil ist, dass am Anfang nicht viel in die Planung investiert werden muss und Systemgrenzen automatisch sichtbar werden. Sind die Mitarbeiter aber nicht selbst-organisiert oder fehlt der Weitblick, kommt es zu lokaler Optimierung und unter Umständen zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation.

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Welche der Ansätze gewählt wird, hängt von der Art der Transformation ab, aber auch von den Faktoren Kosten, Komplexität und notwendige Geschwindigkeit der Transformation. 

Ich habe die besten Erfahrungen mit Catcher-Team gemacht, die in der Vorbereitung der Transformation fehlende Skills erlernt haben und in engem Austausch mit allen Beteiligten standen. Dabei kam es nicht nur darauf an, dass die Mitarbeiter erfahren waren und gut vernetzt, sondern dass sie auch Freude an wechselnden Tätigkeiten und eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen und der Transformation hatten.